Forschung am Crassulaceen-Säurestoffwechsel
Pflanzen sind dazu in der Lage, aus Wasser und Kohlendioxid (CO2) Zucker herzustellen. Diesen Prozess nennt man Photosynthese (von griechisch φως: Licht), weil die dafür benötigte Energie aus dem Sonnenlicht kommt. Die meisten Pflanzen nehmen das CO2 aus der Luft tagsüber auf und können damit sofort Zucker herstellen, wenn die Sonne scheint. Zur CO2-Aufnahme müssen sie winzig kleine Poren (Spaltöffnungen) auf ihren Blättern öffnen. Durch diese Poren verdunstet auch Wasser, was bei ausreichend Bodenfeuchtigkeit kein Problem ist. Wenn aber Trockenheit einsetzt und die Pflanze Wasser sparen muss, schließt sie ihre Spaltöffnungen und kann kein CO2 mehr aufnehmen. Circa 6,5 % aller Landpflanzen haben im Laufe ihrer Evolution einen Mechanismus entwickelt, der dieses Problem lösen kann: den Crassulaceen-Säurestoffwechsel.
Photosynthese bei Nacht
Beim Crassulaceen-Säurestoffwechsel wird das CO2 aus der Luft nachts von der Pflanze aufgenommen, wenn die Atmosphäre kühler und feuchter ist als am Tag. Es wird dann als Äpfelsäure in den Zellen bis zum nächsten Tag gespeichert, wodurch die Blätter oder Sprosse der Pflanze im Laufe der Nacht immer saurer werden. Am Tag wird dann aus der Äpfelsäure wieder CO2 gewonnen, das sich nun schon in der Pflanze befindet. Sie kann also ihre Spaltöffnungen schließen und somit Wasser sparen und trotzdem Zucker produzieren. Im Laufe des Tages wird die Äpfelsäure abgebaut, sodass am Abend die nächste Ansäuerung beginnen kann. Daher kommt auch der komplizierte Name dieses speziellen Stoffwechsels: Weil der deutsche Botaniker Benjamin Heyne 1815 bei Crassulaceen (den Dickblattgewächsen) den sauren Geschmack der Blätter am Morgen und ihren weniger sauren (bitteren) Geschmack am Abend gekostet hat.
Der Botanische Garten München-Nymphenburg forscht am Crassulaceen-Säurestoffwechsel und ist besonders an der Verbreitung und Evolution dieses Mechanismus in der Vielfalt des Pflanzenreichs interessiert. Crassulaceen-Säurestoffwechsel kommt nämlich nicht nur bei Crassulaceen vor, sondern ist mindestens 66 mal unabhängig in 38 verschiedenen Pflanzenfamilien entstanden. In der Regel haben diese Familien auch Sukkulenz hervorgebracht, also die Fähigkeit, längere Trockenzeiten durch das Speichern von Wasser im Inneren der Pflanze zu überdauern.
Forschung an der Gattung Aeonium
Die Gattung Aeonium (Kanaren-Hauswurze) eignet sich besonders gut für die Erforschung der Vielfalt des Crassulaceen-Säurestoffwechsels. Aeonium ist mit insgesamt 41 Arten auf den Kanarischen Inseln vertreten und konnte von dort aus Madeira, die Kapverden und den afrikanischen Kontinent besiedeln. Durch Wanderungen von Insel zu Insel und Spezialisierung auf verschiedene feuchte oder trockene Lebensräume wurde der Crassulaceen-Säurestoffwechsel immer wieder an die Umweltbedingungen angepasst, ist aber nie ganz aufgegeben worden. Außerdem konnte durch unsere Forschung gezeigt werden, dass Arten, die besonders stark auf den Crassulaceen-Säurestoffwechsel setzen, durch Anpassungen ihrer wachsüberzogenen Oberfläche auch einen besonders effektiven Schutz vor Austrocknung besitzen.